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Gefängnisaufsätze

Über Wort und Treue.[1]

Da ich mit meiner ganzen Persönlichkeit hier einmal in Frage stehe, und überzeugt bin, dass das Wahre in jeder Beziehung durch die Untersuchung dargetan ist, so würde ich nicht nur ein Thor sein, wenn ich meine Ansicht verbergen oder verstellen wollte, da ich gegen alle, die mich kennen, und sie also ebenfalls mich schildern können, nie ein Geheimnis daraus gemacht habe, sondern ich würde ein solches Verbergen auch für niedrig halten, selbst wenn es leichter wäre, wie es ist.

Ich freue mich daher, dass es mir gestattet ist, zu zeigen, dass ich nicht ohne Grund eine Ansicht zu der meinigen gemacht habe, die in abstracto und ohne Erörterung manchen zurückstoßen mag, nämlich der Satz:

Es gibt Fälle, welche es sittlich, ja höchst löblich machen, unwahr zu sein; selbst Eide zu brechen.“

Sittlich ist, was die Überzeugung und das Gewissen billigt.

Überzeugung ist ein durch reiflich und // ehrlich erwogene Gründe festgestelltes Urteil, so dass ich einen Beweis des Gegenteils für unmöglich erkenne.

Es gibt also keine „unbedachtsame Überzeugung“ weil ihr nach dem Prädikate das Erfordernis unparteiischer Erwägung fehlte, der doch dasselbe wesentlich zu dem Begriffe der „Überzeugung“ gehört, mithin der Ausdruck: „unbedachtsame Überzeugung“ einen Widerspruch in sich selbst enthält.

Wenn es nun gleich eine irrige Überzeugung geben kann, so ist sie doch der Ausdruck der sichersten menschlichen Erkenntnis, nächst derjenigen, welche uns unmittelbare Anschauung, oder unmittelbares Bewusstsein gewähren.

Diese Überzeugung nun ist die rechtmäßige Gebieterin des Willens, und sie wird als tätiges Urteil über eine von mir verübte Handlung Gewissen genannt. Beide sind bei verschiedenen Individuen gemäß der Volkssitte, eigener Einsicht, und was sonst noch das Urteil modifizieren kann, verschieden, folglich ist auch für verschiedene Menschen Verschiedenes sittlich oder unsittlich. Es kann also keine positiven Sittengesetze geben, und um zum Beispiel zu zeigen, wie falsch der allgemeine Satz sei: Lügen ist Sünde, brauchte man nur dem Tacitus nachzuerzählen, wie vor dem Schlafgemach des Prokonsuls Piso, von den Reufern ausgesandt, um denselben zu töten, der Sklave mit der Lüge: // „er sei Piso“ für seinen Herrn den Tod litt, und niemand wird dem unsterblichen Alten widersprechen, der dies ein egregium mindacium nennt. Der Sklave, sofern er es für seine Pflicht hielt, den Piso nicht zu verraten, handelte sittlich, und, sofern er ihn durch eine heldenmütige Selbstaufopferung zu retten suchte, edel, zu beidem bedurfte es seiner Lüge.

Im Allgemeinen entscheidet sich das Gefühl, wenn zwei Charaktere vorliegen, wovon der eine gerade und offen; der andere versteckt und falsch ist; für den Ersteren und nicht oft dürfte man sich täuschen, wenn man annähme, dass der Letztere mit dem Bewusstsein eigener Schlechtigkeit das öffentliche Urteil fliehe.

Und man könnte wohl sagen, jeder gute Mensch kann den Blick in sein Inneres frei lassen, und tut es in der Regel - dies begründet den guten Namen, den die Gradheit und Offenheit als eine Tugend trägt.

Die Natur der Gesellschaftsverhältnisse beschränkt aber diese Tugend dahin, dass der Mensch, welcher selbst dann offen ist, wenn er dabei bösen Willen Anderer zu fürchten hat, ein Thor, und der, welcher durch seine Offenheit Geheimnisse seiner Vertrauten verrät, ein Schurke genannt wird. // Wenn es also Verhältnisse gibt, welche aus dieser Tugend ihr Gegenteil machen können, so müssen gewisse Schranken für dieselbe aufzufinden sein. Vielleicht wäre der Ausdruck nicht zu allgemein, wenn man sagte: Bei jeder Lüge ist, was sie gehässig macht, das in mich gesetzte und von mir missbrauchte Vertrauen, weil nämlich das Gefühl zu fordern scheint, dass Vertrauen Aufrichtigkeit finde, wenigstens dasjenige Vertrauen, welches sich auf dem Glauben an mein besseres Selbst gründet, und mir somit die Verpflichtung auferlegt, diesen Glauben zu rechtfertigen, so wahr ich mich selbst als sittliches Wesen fühle.

Nun versteht sich aber von selbst, dass mancher Mensch mir törichter Weise Dinge vertrauen könnte, die sich für meine Kenntnis, wegen meiner Ansichten und anderweitigen Pflichten nicht passten, oder wobei er sich auf dem Glauben an eine gewisse Schlechtigkeit in mir verließe.

In dem Falle, wo sein Vertrauen sich mit meinen Ansichten nicht vertrüge, würde wenigstens keine Erwiderung desselben stattfinden. In dem Falle, wo die Bewahrung seines Geheimnisses etwa mich an dem hinderte, was ich als meine Pflicht erkannte, würde ich es missbrauchen (in seinem Sinne) müssen, und endlich in dem letzten Fall, wo ihn der Glaube an meine // Schlechtigkeit bewog, mir zu trauen, würde mich dieses Vertrauen selbst zu seinem persönlichen Feinde machen.

Der vaterlandsliebende Grieche, dem zum Beispiel jener Ephialtes seinen gegen Leonidas Schar beabsichtigten Verrat vertraut hätte, würde selbst zum Schurken geworden sein, wenn er nicht auf alle Weise diese Kunde selbst zum Verderben des Mitteilers angewendet hätte.

Ich ziehe aus dem allen den Schluss, dass nur da, wo gegenseitiges Vertrauen der Natur der Sache nach statthaben muss und statthat, so dass der eine ein Recht und der andere eine Pflicht in der angedeuteten Weise zu haben glauben muss, ist die Lüge sündhaft. Nun kann es aber Fälle geben, wo der Natur gewisser Verhältnisse nach selbst die Begründung des Vertrauens unmöglich ist, nach dem zuletzt angeführten Beispiel.

Gewöhnlicher Weise indessen wird es auf mancherlei Art wirklich begründet: Durch Bekanntschaft, Freundschafts- und Familienbande, in welchen Fällen das bloße ernste Wort keiner weiteren Bekräftigung bedarf.

Dagegen gibt es unter Leuten, die sich ferner stehen, gewisse Mittel zu dieser Begründung.

Diese sind Ehrenwort und Eid.

Ehrenwort in der Vorraussetzung, entweder, dass ich meine Selbstachtung verpfände, welche nur bestehen kann // bei der Rechtfertigung des Glaubens, den mein Kontrahent sofort an mein besseres Selbst an den Tag legt, oder, was freilich die gewöhnlichste, wenngleich sehr verwerfliche Ansicht vom Ehrenwort ist, durch Verpfändung der Achtung, die ich als Mitglied eines gewissen Standes genieße.

Das zweite Mittel, um Vertrauen zu begründen, ist der Eid, wobei die Garantie durch die Berufung auf die Gottheit gegeben wird. Er ist durch allgemeine Anerkennung geheiligt.

Wo aber der Natur der Sache nach kein Vertrauen und keine Pflicht zur Begründung desselben vorhanden ist, im Gegenteil durch eine Rechtfertigung des Vertrauens noch mehr des durch eine vielleicht erzwungene Begründung desselben höre und unerlässliche Pflichten gebrochen werden würden, da bindet selbst der Eid nicht.

Wenn z.B. ein mächtiger Feind mein Vaterland zu verderben trachtete, und ich dasselbe nur retten könnte, indem ich ihn durch einen Meineid täuschte, so wäre es Pflicht, das Letztere zu tun. Denn keine Verpflichtung ist älter und höher, als die gegen das Vaterland, begründet in jedes Menschen Brust durch jene ungeschriebenen und untrüglichen Gesetze Gottes. Wenngleich der Fall selten ist, so gibt doch selbst die deutsche Geschichte unsterbliche Beispiele dazu: // Hermann der Cherusker, der durch Treu- und Eidbruch das Römerjoch zerstörte, und die Sachsen, welche bei Leipzig die Fahnen Napoleons verließen, und das Vaterland retten halfen.

Die Sache spricht für sich selbst. Wenn es darauf ankäme, zu zeigen, ob der Bund den Einzelnen in einen Fall zu bringen im Stande war, wovon derselbe, wie von den Erwähnten zu halten gewesen wäre, so würde nichts leichter sein als dies. Wer die Realisierung der Einheit Deutschlands von dem Bunde erwartete, von welcher er glaubte, dass sie durch ein ewiges Naturgesetz erfordert würde, gegen welches die hindernde Gewalt sündigte, der war allerdings in einem solchen Falle; wenn er den Bund durch Eidbruch retten konnte. Wer aber die Realisierung jenes Gedankens nicht mehr von dem Bunde erwartete, konnte nicht in einen solchen Fall kommen, weil ihm die Pflicht gegen den Bund nicht mehr die Pflicht gegen das Vaterland war, wie jenem.

Im Kurzen bin ich also der Meinung:

Dass nicht alle Menschen auf mein Vertrauen Anspruch haben, dass es Fälle gibt, wo es Pflicht ist, das in mich gesetzte Vertrauen nicht zu rechtfertigen, also Betrug zu üben, dass es so unnatürliche und gewaltsame Verhältnisse gibt, welche weder eine Begründung des Vertrauens erlauben, ja sogar // ein durch Eid begründetes Vertrauen zu täuschen notwendig machen.

Zu der letzten Art von Treubruch dürfte aber wohl nur berechtigt sein, wer die heiligsten Interessen der Menschheit vor vernichtender Gewalt nicht anders zu retten glauben könnte. Denn ohne eine solche Gewalt lässt sich weder eine Forderung zur Begründung eines unnatürlichen Vertrauens, noch auch eine wirklich eingegangene Verbindlichkeit derart denken, mag nun dieser Zwang in den Verhältnissen überhaupt, oder in unmittelbarer physischer Nötigung liegen.

Diese Ansicht lässt endlich ihren Gegnern wenigstens die Gerechtigkeit widerfahren, dass menschlicher Irrtum nicht gerade Bosheit die Wurzel eines von ihrem Standpunkt sündhaften Verfahrens abgeben möge, auch braucht sie den nötigen Gegensatz zur Übung menschlicher Kraft im Leben nicht vom Teufel zu borgen, sondern beide Parteien können nach ihr im guten Glauben sich so lange die Köpfe zerschlagen, bis die Zeit durch einen andern Zankapfel neue Gegensätze macht.



Köpnick den 20sten (Tintenklecks) 1824.



A. Ruge. Stud. Phil.







Volkseinheit ist durch keine Verbindung Einzelner zu erreichen.[2]



Niemand hat die Folgen seiner Tat in Händen, so frei er auch über Entschluss und Tatkraft gebieten mag; ja, es ist sogar jede Tätigkeit von sittlichem oder bürgerlichem Charakter in fremden Augen etwas anderes, wie in den eigenen. Deswegen ist in menschlichen Begebenheiten keine Berechnung des Ausgangs, viel weniger eine Erwirkung desselben nach Plänen möglich.

Das Leben gewinnt dadurch sein geheimnisvolles Interesse, dem Auge des Frommen erscheint darum in ihm das Walten der Gottheit, und selbst des Helden Seele erschüttert das harte Wort:

„Der Ausgang ist ein Gottesurteil“.

Was aber ist der Ausgang? Darüber entscheidet die späte Zukunft; die Gegenwart glaubt und wünscht nur, aber auch darüber wird in späten Tagen die ernste Frage getan: welcher Glaube und welcher Wunsch war im Sinne der Vorsehung?

Mit diesem Gedanken, der mich tief ergreift, lebt in meinem Herzen der Wunsch: Die erste Nation der Erde unter einem Zepter zu sehen und der Glaube, dass dieser Wunsch im Sinne der Vorsehung getan sei.

Wie aber steht es mit der Tat, welche dieser Stimmung dienen sollte, der Verbindung zum Zwecke der Einheit des Vaterlands? // Was das betrifft, so bin ich der Meinung, dass einen solchen Zweck überhaupt keine Verbindung Einzelner, welche als solche im Gegensatz gegen alle bestehende Gewalt steht, mit Erfolg verfolgen könne.

Denn erstens ist der Zweck, ich möchte sagen, über menschliche Kräfte hinaus, weil er den Ausgang einer Weltbegebenheit betrifft und als solcher ganz eigentlich das eigene Werk des lenkenden Gottesgeistes, nach jenen unerforschten Plänen mit dem Menschengeschlecht ist, in welchem unser Volk so lange unbestritten das erste hieß und war. Diese Vorstellung allein ist für mich zwar genügend, allein da der Gegenstand so mannigfache Seiten hat, so kann hier wohl niemand jenen anderen Betrachtungen von gleichem Gewicht entgehen, welche die Natur des Gegenstandes schon im Allgemeinen aufdrängt. Dazu gehört zweitens, dass der Umfang der Sache ein unübersteigbares Hindernis darbietet.

Das etwaige Unternehmen für die Einheit Deutschlands beträfe und zöge ins Interesse das ganze große Volk, selbst in seinen letzten Verzweigungen, und jeder Einzelne wäre gezwungen, Partei zu ergreifen. Da ist dann nun notwendig, dass sich außer der legitimen Gewalt noch eine freie Opposition gegen die Unternehmung bilden würde, ja dass sich für das Neue niemand von den ganz Unbefangenen erklären würde, ehe es im Vorteil wäre.

Welche Macht aber und welche Mittel erfordert werden, // um gegen alle Hindernisse eine solche Stellung zu gewinnen, will ich gar nicht weiter ausführen, da soviel klar ist; dass die Vorbereitungen, welche doch insgeheim gemacht werden müssten, von solcher Ausdehnung sein müssten, dass sie unmöglich ohne Verfolgung und Hindernis bleiben könnten, was ein Auftreten, wie es oben gefordert wurde, unmöglich macht.

Ferner ist auch bei einer Verbindung von dieser Voraussetzung auf eine gewisse Stimmung des Volkes gerechnet, welche die Sache zu dem aller unsichersten Glücksspiel macht. Denn einmal ist überhaupt nichts schwerer zu beurteilen, als die Beschaffenheit des Gemeingeistes, und dann kann auf den gegenwärtigen Zustand desselben doch nur aus der etwaigen Kenntnis der nächsten Vergangenheit mit großer Ungewissheit geschlossen werden, da er zu verschiedenen Zeiten höchst verschiedene Richtungen hat; die Gegenwart kennt ja aber streng genommen niemand. Wie unglücklich muss es dann da nun um das stehen, wobei sogar auf eine bestimmte Richtung des Gemeinsinns in der Zukunft gerechnet wird? Diese Beschaffenheit der Sache entzieht ihr selbst den Boden, worauf sie gebaut ist, oder setzt sie wenigstens dem Schicksal aus, zu versuchen, ob die Wirklichkeit die etwaigen Hypothesen rechtfertigen werde.

Viel müssen die Sterblichen durch Erfahrung lernen:

Doch bevor er es erfahren, kann keiner sagen, wie es in Zukunft um ihn stehen werde. // Dazu ist aber auch noch die Volkseinheit eine Sache, welche ihrer Natur nach schwer zum Gegenstand des allgemeinen Wunsches gemacht wird. Es wird wohl niemand leugnen, dass nur ein Fall auf allgemein fühlbare Art zu einem solchen Wunsche treiben kann, nämlich Unterdrückung des fremden Eroberers; und auch dann noch verschwindet leicht mit der Not das Gefühl des Bedürfnisses nach Vereinigung der Volkskraft. Die Volkseinheit also, weil sie keinen unmittelbaren immerwährenden Einfluss auf Person und Eigentum des Einzelnen hat, wird nur von Wenigen als durch gelehrtere Betrachtung wünschenswert gefundene Sache erstrebt werden können, und in unserem Vaterlande gewiss nicht erreicht, wenn nicht ein mächtiges Fürstenhaus sie im Laufe der Zeiten als seinen vornehmsten Zweck verfolgt.

Man könnte noch hinzufügen zu allen diesen Schwierigkeiten, wie die verschiedene Geschichte einzelner deutscher Stämme und ihre Stellung gegeneinander einen Hass erzeugt hat, der dem gegen andere Nationen gleichkommt.

Andere Stämme sind sich wenigstens ganz fremd, welche Entfremdung durch verschiedenen Dialekt aufrechterhalten wird.

Daher findet sich in der deutschen Geschichte selten, vielleicht außer den neuesten Zeiten, ein deutscher Patriotismus tätig, und es müsste eine nicht geringe Veranlassung sein, die ihn wieder wecken sollte.

Der Genius, welcher ihn unter seine Fahnen zu bannen weiß, ist // wie Hermann unbesiegbar. - Bei dem Gesagten könnte auffallen, warum ich nicht die Behauptung dahin gestellt habe, dass der Zweck des Bundes in seinen beiden Teilen kein erreichbarer Vorwurf für Privatverbindungen sein könne; aber mit Unrecht, denn einmal war der Zusatz: „und für die Freiheit p.p.“ nur so ein notwendiges Accidenz, da der Bund auch wohl hätte zufrieden sein wollen, wenn Deutschland durch ihn eine Einheit ohne Freiheit (oder freie Verfassung) erlangt hätte; und dann ist die Freiheit eine Sache, die im Leben der Menschen nie ganz gefehlt und nie ausgedehnter gewesen als jetzt.

Ja, sie hält gleichen Schritt mit der wachsenden Bildung; und niemand beklagt sich über das Wachstum, weder der einen noch der anderen.

Befördern kann beide auch der Einzelne, wenn er Geist hat, befördern muss sie oft, was den Sitten und der allgemeinsten Meinung zu beleidigend widerspricht.

Wer so von der viel besprochenen Freiheit denkt, dem kann jeder Zusatz zu dem eigentlichen Zweck des Bundes, der diese Freiheit betrifft, nichts weiter bedeuten als: Wird Deutschland eins, so wird es auch eine Verfassung bekommen, wie sie aus den gegebenen Verhältnissen mit Notwendigkeit hervorgeht und mit der öffentlichen Meinung bestehen kann. Wobei sich jedoch von selbst versteht, dass künftige Geschlechter, wie auch immer der // neue Zustand geworden, stets einen anderen wünschen und begründen mussten.

Wünschte aber dennoch jemand, dass die gewonnene und der Wahrheit, wenn auch nicht immer den Worten nach bestehende Freiheit eine hinreichende Garantie haben möchte, so müsste er nur beschränkten Blick haben, wenn ihm nicht das Christentum und seine Lehren, so wie der Geist der germanischen Völker, wie er in der Geschichte erscheint, im Notfall das beste Bollwerk für alles Menschliche und Schöne darstellen könnten.

So mögen dann diese wenigen Worte dienen, um zu zeigen, von welchem Standpunkt ich jetzt die großen Interessen der Menschheit ansehe, und inwiefern diese meine Ansicht mit gegenwärtiger Ordnung und Gesetz bestehen kann. Ich habe meine wahre Herzensmeinung gesagt, wie ich sie auch sonst teilweise oft nur ausgesprochen habe, und ohne Scham vor aller Welt Augen darzulegen auch jetzt und in Zukunft keinen Anstand nehmen zu müssen glaube, sobald es darauf ankommt.

Gott helfe uns allen.

Köpnick den 25sten Juni 1824.

Arnold Ruge

Stud. Phil.





Nähere Beleuchtung meines Verhältnisses zu dem Bunde und der Art, wie ich in denselben verwickelt war. [3]



Wesentliche Mo-

mente zur Ver-

teidigung des

pp. Ruge[4]





Im ersten Halbjahre meines Aufenthalts auf der Universität zu Halle, von Ostern bis Michaelis 1821, fasste ich, teils im Umgange, teils durch Lesen, die Ansicht, dass der Gang der deutschen Geschichte auf Deutschlands Einheit und Freiheit, diese letztere gedacht als beschränkte Monarchie oder ständische Vertretung in der Monarchie, gerichtet sei, und dass Deutschland auf diesem Wege zu seiner Bestimmung durch die innere Kraft und das daraus folgende Wachsen des Preußischen Staats fortschreite, welches mir durch die Geschichte und die Stellung dieses Staates aufs deutlichste bewiesen schien.

Als diese Ansicht noch für mich den ganzen Reiz der Neuheit hatte, und mich dabei zur lebhaftesten Freude und zur Begeisterung für die Größe der Preußischen Zukunft erhob - schon im zweiten Halbjahr meines Aufenthalts auf der Universität, also bei einer ganz unvollkommen, noch schülerhaften Ausbildung meiner Lebensansichten, ward mir der erste Antrag in Rücksicht auf den Bund gemacht, und zwar der Antrag, an der Stiftung eines solchen Bundes Teil zu nehmen; aber auch bei meiner damaligen, natürlich geringen,// Selbstständigkeit wies ich diesen Antrag mit Spott zurück, weil er durchaus nicht in jene meine geschichtliche Ansicht passte. v. Ronge erneuerte dann später unter vier Augen den Antrag, wegen des Bundes, aber aus meiner, der gedachten Ansicht, heraus und mit Tatsachen unterstützt, welche den Bund als einzig im Dienste der Preußischdeutschen Nationalsache hinstellten, worauf (das heißt auf den Antrag, dem Jünglingsbunde für die Einheit und Freiheit Deutschlands beizutreten) ich dem ohne Widerrede eingehen zu müssen glaubte. Was das Nähere der Art und Weise dieser Verrichtung in den Bund betrifft, so ist in der gegen mich ausgeführten Untersuchung, wie auch in den Gründen des, gegen mich ergangenen, Erkenntnisses, als ausdrücklich bestätigt und völlig bewiesen festgestellt:

No- 56. Fol. 10 bis 12- 100 et -"dass ich den mir den durch v. Bonge im Wintersemester 1821/22 in Gegenwart des Ritter, Beier, v. Wille und Lange gemachten Antrag zur Stiftung eines Bundes für die Realisierung der politischen Einheit und Freiheit Deutschlands, als ein törichtes Unternehmen, zurückwies, weil ich dafür hielt, dass wir einem solchen Zwecke gar nicht gewachsen wären; dass ich aber später in demselben Wintersemester 1821/22 , als der v. Bonge diesen Gegenstand wieder anregte, und das Törichte eines solchen Bundes durch die Bemerkung zu beseitigen wusste, dass ein solcher Bund bereits bestehe, derselbe aber keineswegs selbstständig für den gedachten Zweck tätig wirken, sondern vermöge seiner Verbindung mit mehreren einflussreichen Männern, durch diese geleitet und, nur, so wie in den Jahren 1813 bis 15 geschehen, tätig sein sollte, mich zum Beitritt zu diesem Bunde bereit erklärte, und auf seinen Zweck mittelst Handschlags verpflichtete.

Darin liegen die Beweggründe zu diesem Schritte und mit ihnen zugleich meine Rechtfertigung // gegen den Preußischen Staat:

So wie in den Jahren 1813 und 15 die Studenten tätig gewesen waren für die politische Existenz und Freiheit Deutschlands, ebenso sollten sie es jetzt wieder werden, das heißt, in den Reihen der Preußen und unter der Leitung einflussreicher Männer, sollten sie auftreten, und welcher Männer? - derselben, deren Befehlen sie auch damals gehorchten. Ward mir doch gesagt von eben diesem v. Bonge damals, und von andern später wiederholt, wie ich oft zu den Akten gegeben habe:

Die öffentliche Meinung der Deutschen sei ganz für Preußen, eben so wie 1813 blicke alles auf Preußen, und erwarte von Preußen die Wiederherstellung Deutschlands zu einem Staate, eben so wie damals sei der Preußische Staat, der General Gneisenau und die Armee bereit, den Wünschen Deutschlands zu entsprechen, eben so wie damals werde dies im Geheimen vorbereitet.

Zwar war dies alles nicht gewiss, aber die genannten oder angedeuteten einflussreichen Männer, die im Sinne des Staats handelten, hätten, sagte man, wichtige Gründe, sich uns für den Augenblick noch nicht zu entdecken. Solches werde aber geschehen, und dann sollten wir uns ihrer Leitung überlassen, vorläufig aber ein Weiteres erwarten. Diese Mitteilungen, diese Gerüchte, diese Andeutungen wurden mir einem Studenten, als ich kaum ¾ Jahre die Schule verlassen hatte, in einem Alter, wo die Phantasie vorherrscht, in einer Zeit, wo der Ruhm der 1813 und 15 aus gezogenen Jünglinge in frischem Andenken und auf den Universitäten hoch gefeiert war, gemacht.

Dieselben Verhältnisse, welche in den Jahren 1813 und 15 gewesen, wurden mir, der ich mit

allen Verhältnissen des Staats unbekannt war, vorgespiegelt. Es war der zweite Versuch mich zu gewinnen, welcher gelang, und so angelegt, musste er gelingen. Welcher Preußische Patriot hätte, an meine Stelle versetzt, sich geweigert, welcher aufbrausende Jüngling nicht gefürchtet, für sein ganzes // Leben den Schimpf der Feigheit und Pflichtvergessenheit auf sich zu laden, wenn er durch solche Beispiele und solche Namen nicht bewegt worden wäre. Dies ist das aktenmäßig vorliegende Sachverhältnis, durch welches ich zum Beitritt zu diesem Bunde verführt worden bin. Nur Preußischer Patriotismus und Pflichtgefühl hat mich bewogen.

Eben dieses wird auch unter dem, zu meiner wahren Inculpation unter den Entscheidungsgründen angeführten, Geständnis und artikulierten Verhör, welchem mit Recht voller Glaube geschenkt ist, verstanden; und wenn es in dieser Anführung heißt:

Man sagte mir bei meiner Aufnahme, dass "der Zweck unseres Bundes der, mitzuwirken für die Einheit und Freiheit Deutschlands in derselben Art, wie die Studenten in den Freiheitskriegen 1813 bis 15 mitgewirkt hätten."

So ist der Sinn dieser Worte, weit entfernt eine gewaltsame Umwälzung der Preußischen Rechtsverfassung zu bezeichnen, viel mehr, wie jeder leicht einsieht, und das Sachverhältnis erfordert, folgender:

Man sagte mir, eben so wie 1813 u 15 erginge im Stillen eine Aufforderung an die Jugend (wie die v. Bongesche an mich), sich bereit zu halten und zu verpflichten, in den Kreisen des Preußischen Heers zu fechten, wenn dieses zur Eroberung von Deutschland auszöge, und, wenn Sr. Majestät der König, wie 1813, eine Aufforderung an das Volk erließe.

Da ich nun als Einzelner nicht das Recht habe, das Verfahren des Staats zu deuten oder ihm entgegenzutreten, vielmehr die Pflicht, mich ihm immer anzuschließen, so kann er mir nicht zum Vorwurf gereichen, dass durch ein Verfahren des Preußischen Staats, wie das mir vorgespiegelte ist, die übrigen deutschen Staatsverfassungen umgestürzt worden wären, in dem ich an einem solchen Verfahren nur als Preußischer Untertan, der seinem Souverän zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet ist, und nur auf die Forderung dieses meines Souveräns teilzunehmen gedachte [.] Der vorgespiegelte Männerbund ist natürlich mit den vorgespiegelten einflussreichen Männern ganz identisch. Dieser Männerbund, diese einflussreichen Männer, wollten sich uns // später offenbaren, und dann sollten wir von ihnen Obern erhalten, welchen dann Gehorsam zu leisten wäre, natürlich wenn wir in ein militärisches Verhältnis, wie das Gedachte, getreten, wären [.] Daraus ergibt sich die Bedeutung und Beziehung des von mir durchaus nur als für den gedachten Fall in Zukunft eintreten sollenden Bundesgesetzes: Gehorsam gegen die Obern, indem mir der v. Ronge bei meiner Aufnahme ausdrücklich eröffnete:

Der die Obern betreffende Punkt trete erst dann in Kraft, wenn sich diese Obern uns förmlich kundgetan, und wir dieselben anerkannt hätten, welches ich auch zu den Akten erklärt habe. Es ist demnach ganz irrig, wenn in den Entscheidungsgründen gesagt wird, es sei Gesetz gewesen, dass jedes Glied des Bundes den Befehlen nicht gekannter Obern Gehorsam leisten solle.

Was nun den zweiten Bundeszweck, die Freiheit, anbetrifft, so beweisen die Akten:

Dass die Meisten sich unter derselben eine Konstitutionelle Monarchie dachten, dass aber über diese Freiheit nichts Näheres von Bundeswegen bestimmt war, indem der Bund sie als eine vor den Männerbund gehörige, das heißt als Sache des Staats ansah, da ja der Männerbund im Sinne des Preußischen Staats handelte. Da nun damals für den Preußischen Staat schon eine Verfassung vorbereitet, später ausgeführt und gegeben ward; so war nach der Ansicht der meisten Bundesglieder, wie sie in den Akten angegeben und in den Entscheidungsgründen zitiert wird, für den Preußischen Staat nichts zu wünschen übrig, und es ist keineswegs meine Absicht oder auch nur Ansicht gewesen, zum Umsturz der Preußischen Verfassung zu wirken, da sie gerade das ist, was von mir und den Meisten gewünscht wurde. // Wenn man nun sagt: Ich hätte mich den in Würzburg erhaltenen Nachrichten zu Folge, welche uns dort Versammelte zu der Ansicht brachten, man müsse den Männerbund als nicht vorhanden betrachten, entschließen sollen, den Bund aufzugeben, so dient zur Antwort, dass in Würzburg ausdrücklich gesagt wurde, der Männerbund könnte wohl vorhanden sein, allein es fehlte uns an Kenntnis von denselben. Es blieb also immer das alte Verhältnis, die Hoffnung auf jene Männer, und nun ward in Würzburg ausgesprochen, der Bund halte ein selbstständiges Auftreten seinerseits für untunlich, und wolle sich darauf beschränken, die ihm zum Grunde liegenden Grundsätze, d.h. die Ansicht von der Notwendigkeit der Einheit und Freiheit von Deutschland, zu verbreiten, und das, was außer ihm zum Zwecke des Bundes geschehen möge, zu unterstützen. Dabei blieb ich ganz in meinem alten System und dachte unter dem, was außer dem Bunde für seinen Zweck geschehen sollte, die Tätigkeit der Preußischen Armee für denselben. Denn der Ausdruck:

"Was außer dem Bunde für dessen Zweck geschehen möge" ist ganz gleich mit dem, ebenfalls in Würzburg gebrauchten, Ausdrucke: "dass man das Meiste von einem für den Bundeszweck günstigen Gange der Geschichte erwarten müsse", womit das erwartete Auftreten Preußens, um Deutschland zu erobern, angedeutet ist.

Wenn ich nun ausgesagt habe, dass auch die Unterstützung einer etwaigen Revolution nicht ausgeschlossen // gewesen sei, so ist dies die Antwort auf eine spezielle Frage des Untersuchungsrichters, welche nur erklärt, dass eine solche Unterstützung in Würzburg nicht verboten worden ist, während dieselbe auch keineswegs beschlossen ward; vielmehr hieß es ausdrücklich:

Der Zweck des Bundes soll der alte bleiben, jedoch kann er von dem Jünglingsbunde, als solchem gar nicht unmittelbar erstrebt werden, weil uns dazu alle Mittel fehlen. u.s.w. Und in der Tat ist nie ein bestimmter Plan weder entworfen, noch beraten, noch verfolgt worden.

Aus allem diesem geht hervor, dass die ganze Anschuldigung, als hätte ich mich auf den Zweck der gewaltsamen Umstürzung der Verfassung des Preußischen Staats verpflichtet, gänzlich ungegründet ist; vielmehr habe ich mit demselben und einzig in seinem Dienste die Einheit und Freiheit Deutschlands erstrebt, und bin zu dieser Handlungsweise erwiesener Maßen nur durch die Vorspiegelungen von der Aufforderung der angesehensten und treu ergebensten Preußischen Staatsdiener, denen im Jahre 1813 und 1815 in gleichem // Falle nicht nur ohne Verbrechen, sondern zu ihrem großen Lobe die deutsche Jugend gefolgt war, bewogen worden. Ich bin in dieser Handlungsweise verharrt, so lange ich an eine Aufforderung, wie gedacht, glaubte. Damit meinte ich nicht gegen, sondern nur für den Staat zu handeln und wenn ich nichts, was gegen den Staat geht, in meiner Verpflichtung ausnahm, so erklärt sich dies eben daher, dass der Bund einen Zweck zu seinem Besten, in seinen Sinne, eine Richtung für und mit ihm verfolgte; und eben so, wie ich jetzt, würden diejenigen, welche 1813 auf eine geheime Aufforderung eingingen, auf die Frage, ob sie etwas gegen den Staat Gerichtetes in ihrer Verpflichtung ausgenommen hätten, haben antworten müssen, wenn man sie ihnen vorgelegt hätte. Man hat sie ihnen aber nicht vorgelegt, und ob sie gleich ebenfalls einer insgeheim an sie ergangenen Aufforderung Gehör gaben, ob sie gleich die Waffen für Preußen gegen andere deutsche Staaten getragen haben, so sind sie doch von niemand weder beschuldigt noch bestraft worden.

Wenn ich aber auch bei meiner Aufnahme oder meiner Vorbereitung dazu durch v. Ronge // keiner offiziellen Aufforderung folgte, und hierin eine Entschuldigung des Zurücktretens hätte haben können, so war ich doch der Meinung, eine Sache von diesem Charakter, von dieser Wichtigkeit und angeblich von so hoch stehenden Männern ausgehend, könne für den Preußischen Staat kein Geheimnis sein, müsse also wenigstens von ihm geduldet und gutgeheißen werden. Und von dem Gegenteil habe ich mich nicht eher überzeugt, als bis mir die eingeleitete Untersuchung offizielle Anzeige davon machte, indem sie im Namen der allerhöchsten Behörden den Bund für einen geheimen Bund erklärte.

Welche Eröffnung mich mit meinem bisherigen System, wonach ich immer gegen Preußen nicht strafbar gehandelt zu haben glaubte, in ein so großes Gedränge brachte, dass ich vor der Hand zu keinem Entschluss kommen konnte, und vorläufig die ganze Sache in Abrede stellte. Jedoch durch eigenes Nachdenken geleitet kam ich zu der Ansicht, dass ich aufs allervollständigste und stets der Wahrheit aufs allergenaueste gemäß der an mich ergangenen Aufforderung zur Darlegung der zu meiner Kenntnis gelangten Bundesverhältnisse genügen müsse, und ich habe ihr genügt, // ohne die geringste Rücksicht auf meine eigene Verteidigung, selbst bei der gerichtlichen Untersuchung zu nehmen, indem ich das feste Vertrauen zu dem entscheidenden Richter hatte, ihm werde das höchst wichtige Sachverhältnis, in Folge dessen mein Beitritt zu dem Bunde erfolgte, und dem gemäß meine Reden und Handlungen blieben, nicht entgehen, und somit meine wirksame Verteidigung hinreichend gesichert sein. Und wenn ich gleich wohl wusste, dass dieser Schritt, der Eintritt in den Bund, eine gesetzlich verbotene Handlung sei, so hielt ich doch aus den angeführten Gründen diesen Fall eben so gut für eine Ausnahme, als der von 1813 bis 15 dafür gegolten hat, so viel mir bekannt geworden ist, und überdies beruhigte mich über das Geheimhalten des Bundes vor jedermann der Gedanke, die Männer, welche, wie gesagt, den Bund leiten wollten, müssten solche Gründe zu dieser Geheimhaltung haben, welche ich nicht ermessen könnte, auch nicht zu beurteilen, sondern nur anzuerkennen hätte.

Als ich später in Heidelberg den Bund aufgab und gänzlich // bei Seite stellte, weil mein Glaube an das von Preußen Erwartete fast alle seine Stützen verlor, so konnte ich ihn doch keineswegs, wie ein gegen Preußen feindseliges Streben, zur Anzeige bringen, indem ich früher nur Nutzen von demselben und jetzt auch nicht die entfernteste Gefahr für Preußen erwartete. Als ein bloßes Geheimnis konnte ich denselben aber schon deswegen nicht zur Anzeige bringen, weil ich dadurch Kosten, Schritte, Besorgnisse von Seiten des Staats, wenn ich wirklich annehmen wollte, dass ihm das Bestehen des Bundes unbekannt wäre, veranlassen konnte und musste, welche veranlasst zu haben ich als Privatperson mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, meinem Patriotismus und meiner Ehre nicht für angemessen halten konnte, besonders da selbst nötige Angebereien selten für gute Dienste gelten, unnötige aber und von so zweideutiger Natur, in einem so delikaten Falle, wie der gegenwärtige mir erschien, sogar Strafe und Schande nach sich zu ziehen pflegten.

So bin ich durch den Drang von außerordentlichen Verhältnissen, welche ich nicht zu übersehen vermochte, und einzig durch meinen Patriotismus bewogen, in eine Lage wie die gegenwärtige gebracht, ich der ich die ganze Hoffnung und // hauptsächlichste Stütze meiner in den letzten Kriegen verarmten Familie bin, indem ich nichts weiter als die Pflicht eines jeden guten Preußischen Untertan zu erfüllen glaubte. Ein überhartes Urteil hat alle diese meine Verhältnisse, selbst die allerwesentlichsten für die Beurteilung meines jugendlichen Handelns gänzlich bei Seite gesetzt, und ich leide jetzt durch den Preußischen Staat, der ich nur für ihn strebte; um so mehr darf ich hoffen durch die Umsicht und Gerechtigkeit der zweiten Spruchbehörde dem Leben der Menschen wieder gegeben zu werden, dem Staate, welchem ich aus Grundsatz und wissenschaftlicher Theorie leidenschaftlich ergeben bin, und meiner Not leidenden Familie, gegen die ich die Pflichten eines zweiten Vaters habe, besonders da die Kosten meines Unterhalts auf der Hochschule das Unglück meines Vaters mit herbeiführten.

Die Mehrheit des Angeführten bezeugt mein bisheriges Leben, die gerichtlichen Akten, mein Betragen gegen meine Familie, und kann durch die vollgültigsten Zeugnisse belegt werden, wozu ich nach wiedererlangter Freiheit die strengste Erfüllung meiner heiligen Verpflichtungen gegen Staat und Familie als letzte Rechtfertigung hinzu fügen werde, so gewiss stets nur das Gute mein letzter Zweck gewesen ist und sein wird.

Colberg den 9ten October Arnold Ruge.

1826.





In der 'Geheimakte A. Ruge' findet sich das folgende Verteidigungsschreiben, das sich auf Ruges Aufsatz vom 9. Oktober 1826 und eine mündliche Vernehmung vom 10. Oktober 1826 bezieht (s. auch Hinweise zur Textgestaltung).





// Verteidigungsschrift in zweiter Instanz für den Studenten der Philologie Arnold Ruge



Der Richter erster Instanz hält den Inculpaten der Teilnahme an einer gesetzlich verbotenen, des Verbrechen[s] des Hochverrats vorbereitenden geheimen Verbindung und deren Verbreitung für schuldig, und hat deshalb auf fünfzehnjährigen Festungsarrest gegen ihn erkannt.

Inculpat hat gegen die Erkenntnis das Rechtsmittel der weiteren Verteidigung eingeklagt, und zu seiner Rechtfertigung in der Verhandlung vom 10ten Oktober d. J. Folgendes angeführt:

1, der Jünglingsbund sei in Rücksicht auf die Teilnehmer selbst nicht als eine den Hochverrat vorbereitende Verbindung, überhaupt nicht als ein Unternehmen anzusehen, welches auf die gewaltsame Umwälzung der Staatsverfassung abgezielt habe. Einer weiteren Ausführung dieser Behauptung glaube // ich hier überhoben zu sein, da ich bereits in der Verteidigungsschrift für Cl [emen ?] mich hierüber umständlicher ausgesprochen und gezeigt habe, dass die Teilnahme an dem Jünglingsbunde auf nichts als Conat des Hochverrats angesehen werden kann!

Ferner 2, bemerkt Inculpat: er habe durchaus nichts gegen den Preußischen Staat zu unternehmen beabsichtigt, vielmehr hätten die Mitglieder des Bundes nur so tätig sein sollen, wie die Studenten in den Freiheitskriegen 1813-1815, das heißt, von einflussreichen Männern in allen Ständen unterstützt und geleitet, nachdem sie vom Staatsoberhaupt selbst zu den Waffen aufgerufen worden.

Wenn der Inculpat in diesem Sinne in den Bund trat, wenn er dabei lediglich von der Vorraussetzung ausging, dass erst eine Aufforderung des Oberhaupts des Staates vorausgehen solle, bevor der Bund handelnd auftrete, so liegt in seiner Handlung um so weniger ein den Hochverrat vorbereitendes Vergehen. // Man kann ihn auch nur nach demjenigen, was er bei seinem Eintritt in den Bund von dem Wesen und dem Zweck desselben erfuhr, beurteilen. Dagegen ist nun aber

3, nicht zu leugnen, dass Inculpat Mitglied einer geheimen Verbindung gewesen ist; allein die im Edikt vom 20ten Oktober 1798 verordnete Strafe kann auf ihn keine Anwendung finden; der Richter erster Instanz meint:

dass hinsichts der Anwendbarkeit der Preußischen Strafgesetze auf ihn, er mit v. der Cannen [?] in ganz gleichem Verhältnis stehe;

ich habe jedoch in der Verteidigungsschrift für v.d. Cannen auseinandergesetzt, dass das Edikt vom 20ten Oktober 1798 in Neu-Vorpommern bis jetzt keine Verwendung finden könne. Auf diese Ausführung nehme ich lediglich Bezug, denn wenn man annimmt, dass Inculpat im Preußischen Staate ein Forum habe, so kann dies nur in Neu-Vorpommern, wo sein Vater ansässig ist, sein; dort gelten aber noch jetzt die Vorschriften des gemeinen deutschen peinlichen Rechts. // Nach diesem ist die Stiftung einer geheimen Verbindung an sich nicht strafbar, mithin glaube ich darauf antragen zu können:

Dass Inculpat mit aller Strafe verschont werde.

Sollte indes der künftige Richter dennoch annehmen, dass Inculpat nach Preußischen Gesetzen bestraft werden müsse, so dürfte ihm doch Folgendes wesentlich zur Milderung seiner Strafe gereichen:

1, die ganze Verbindung war in seinen Augen nur eine gewöhnliche Studentenverbindung, und als er von seiner irrigen Ansicht über die Bildung des Bundes zurückkam, fasste er den Entschluss, weder andere Personen ferner in den Bund aufzunehmen, noch sich überhaupt weiter um denselben zu bekümmern.

Dieser Umstand allein entschuldigt die Handlung des Inculpaten. Als er dem Bunde als Mitglied beitrat, zu Anfang seines Universitätslebens, lockte ihn das Geheime einer Verbindung unter Studenten, und die Idee, für das deutsche Vaterland künftig wirken zu können; // als er aber zur ruhigen Überlegung gelangte, und sich von der Nichtigkeit des Jünglingsbundes überzeugte, da sagte er sich von demselben los. Dazu kommt,

2, dass er wie Index a quo selbst sagt, ein umfassendes Bekenntnis von seiner Teilnahme an dem Bunde abgelegt hat.

Erwägt man diese Milderungsgründe; so dürfte Inculpat allerdings mit einer gelinderen als der gesetzlichen Strafe zu belegen sein, überdies verdient er, der Gnade Sr. Majestät des Königs empfohlen zu werden, da er offenbar nicht aus böser Absicht die gesetzlichen Vorschriften übertreten, vielmehr lediglich aus jugendlicher Unbesonnenheit sich in eine geheime Verbindung eingelassen hat.

Berlin den 2” Dezember 1826

Martini









[1] Geheimes Preußisches Staatsarchiv, Berlin. Signatur: Rep. 77 Tit. 6 Spec., R Nr. 164, Adh., Bd. 1, Blatt 75-78.

[2] Geheimes Preußisches Staatsarchiv, Berlin. Signatur: Rep.77 Tit. 6 Spec., R Nr. 164, Adh., Bd.1, Blatt 79-81.

[3] Geheimes Preußisches Staatsarchiv, Berlin. Signatur: Rep77 VI Spec, R Nr 164, Adh., Bd. 2, Bl. 25-34; die Verteidigungsschrift des Regierungsrats befindet sich auf Bl. 32-34.

[4] Von fremder Hand.


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